Art-Net oder sACN?
…oder auch VHS gegen Betamax!
Ein Gastbeitrag von Jonas Engelmeier
Manchmal komme ich mir vor wie bei dem Formatkrieg der Videokassettensysteme in den frühen 80er Jahren. Für die Millennials unter Euch, damals kämpften drei Formate um die Weltherrschaft. VHS, Betamax und Video 2000. Mitte der 80er hatte sich VHS mit über 90% Marktanteil durchgesetzt. Dabei war der Sieger nicht die technisch beste Lösung.
35 Jahre später setzen sich Spezialisten in der Veranstaltungstechnik mit einer ähnlichen Frage auseinander. Art-Net oder streamingACN (kurz sACN) ? Beide Protokolle verfolgen vereinfacht gesagt denselben Zweck. DMX von A nach B zu transportieren. Die theoretischen Leistungsdaten sagen wenig über die technischen Unterschiede aus. Art-Net wirbt in der aktuellen Version 4 mit 32.768 möglichen DMX Universen um die Gunst der Anwender. sACN sogar mit knapp 64.000 Universen. Grenzen die sicherlich bei 99,99% der Veranstaltungen bislang nicht von Bedeutung sind.
Jetzt hör mir doch mal zu!
Um den größten Unterschied zu verstehen sollte der Anwender sich vorher etwas mit Netzwerktechnik beschäftigen. Ganz grundsätzlich keine schlechte Idee, wenn man noch länger dabeibleiben will. Die Übertragung von Art-Net funktioniert nach dem Broadcast Prinzip. Also, EINER sendet an ALLE. sACN nutzt Multicast. EINER sendet an VIELE. Bei Broadcast und Multicast Übertragung bleibt die genutzte Bandbreite von etwa 200-250Mbit/s für 1000 Universen gleich. Der Unterschied ist welcher Teil der Signalkette sich damit rumschlagen muss. Beide Varianten haben ihre grundlegenden Vor- und Nachteile und erfordern etwas KnowHow bei der Konfiguration der involvierten Netzwerk Infrastruktur. Bei beiden Protokollen steht dem Nutzer frei auch Unicast für die Übertragung zu wählen. Das bedeutet EINER an EINEN. Wählt man Unicast für die Übertragung der gleichen Information an mehrere Senken wird sich die Bandbreite an einigen Stellen addieren. Im Übrigen nicht nur die Bandbreite sondern auch die Rechenlast. Für mich wäre es ja auch deutlich anstrengender den gleichen Sachverhalt fünfmal zu erzählen als eine Gruppenandacht zu halten. Klingt logisch, oder?
Die Null ist die Eins
Der Erstanwender wird sich bei der Nutzung von Art-Net schnell am Kopf kratzen. Das Problem ist die Zählweise. In den ersten Art-Net Versionen sollten 256 Universen mit nur zwei Stellen (Drehschaltern) beschrieben werden. Für Art-Net Schöpfer Wayne Howell eine leichte Aufgabe. 16 Subnets multipliziert mit 16 Universen. Um nun nur zwei Stellen zu benutzen zählt man nicht Dezimal von 1-16 sondern Hexadezimal von 0-9 und A-F. Einmal verstanden ist das kein Hexenwerk.
Universum Nummer 1 ist 0:0 und Universum 256 ist F:F. Das eigentliche Problem sind vermeintlichen Erleichterungen die einige Hersteller in Ihre Art-Net fähigen Produkte implementiert haben. Bei einem Gerät mit Display ist es ja kein Problem dem Nutzer eine einfache Zahl von 1-256 anzubieten und intern in Hexadezimal umzurechnen. Inzwischen gibt es einige Varianten die alle dasselbe beschreiben. Man kann von 0-F, 1-16 oder von 0-15 zählen. Natürlich auch von 0-255 oder von 1-256. Leichter wird es dadurch nicht. Zu Problemen kommt es oft, wenn Quelle und Senke oder auch nur zwei Techniker unterschiedlich zählen. Da liegt man dann gerne um ein Universum daneben. Ein klassisches Beispiel für „Gut gemeint ist nicht gleich Gut gemacht“. Bei sACN ist die Sache leichter. Man zählt von 1 hoch. Das Universum 0 gibt es nicht. Universum 16589 ist überall Universum 16589.
Kein Standard ist auch eine Lösung
Ein weiterer nicht so offensichtlicher aber gravierender Unterschied ist die Normung. Art-Net ist durch ein Copyright von Artistic Licence geschützt, darf aber ohne Lizenzgebühren genutzt werden. Neben der einfachen Implementierung sicher ein Grund für die weite Verbreitung. sACN hingegen ist in der ANSI Norm E.1.31 beschrieben. Das American National Standards Institute führt z.B. auch unser altgedientes DMX512-A unter der Norm E1.11. Wer Festinstallationen z.B. auf Kreuzfahrtschiffen ausführt, ist über die Ausschreibung oft an die Ausführung nach ANSI E1.31 gebunden. Eigentlich kein Problem. sACN ist ein gutes und robustes Protokoll das weitere Vorteile bietet. Unter anderem können Prioritäten bei verschiedenen Quellen für ein Universum festgelegt werden. Allerdings unterstützt sACN E1.31 im Gegensatz zu Art-Net bis heute kein RDM over Ethernet. Mit der Remote Device Management genannten Technik lassen sich über die 3-polige DMX Leitung vom Node zur Lampe u.a. Adressen ändern und Sensor Informationen auslesen. Die Norm E1.33 (auch RDMnet genannt) soll das zukünftig unterstützen. Da sich an der Stelle aber wenig tut gibt es inzwischen eine Alternative.
Mit Art-Net Version 4 lassen sich beide Protokolle in einer Art hybrid Variante Nutzen. Dabei wird sACN für den Signaltransport genutzt. Art-Net übernimmt im Hintergrund den Transport der RDM Daten. Eine Ausschreibung nach ANSI E1.31 schließt also die Nutzung von RDM nicht mehr aus.
Alle die 2019 noch kein RDM nutzen dürfen gerne weiter Steiger fahren. RDM kann natürlich keine Brenner wechseln, Modes ändern schon. Auch die Daten der Sensoren sind gerade in Festinstallationen Gold wert. Wer sich in komplexeren Umgebungen mit dem Signaltransport über Netzwerke beschäftigt kommt schnell zu dem Schluss das Quality of Service ein Muss ist. Wir legen kein DMX-Multicore mehr, sondern teilen uns unter Umständen eine Infrastruktur mit den Kollegen vom Ton und im schlimmsten Fall auch vom Video. Es muss sichergestellt sein das unser DMX Stream Vorfahrt vor den Dateien hat die z.B. gerade von Medienserver A zu Medienserver B kopiert werden. Art-Net und sACN lassen sich praktikabel nur über ihren jeweiligen UDP Port priorisieren. Einen Mechanismus wie das von Audinate verwendete DSCP DiffServ vermisse ich bei beiden Protokollen.
Achtung für …JETZT!
…Mist zu spät
Ein weiteres wichtiges Thema bei DMX over Ethernet Anwendungen ist die synchrone Ausgabe der Daten an verschiedenen Nodes. Hier sind die Probleme häufiger bei den Nodes als im Netzwerk zu suchen. Um zu verstehen warum, muss man sich vor Augen führen wie schnell heutige Netzwerke sind und wie langsam DMX ist. Bei einer DMX Frequenz von 44Hz erhält der Node etwa alle 23 Millisekunden einen neuen DMX Frame für ein spezifisches Universum. Das Insertion Delay von einem Netzwerk Switch wird jedoch in Mikrosekunden gemessen. Der Unterschied? Faktor 1000! Wer in einem nicht überlasteten Netzwerk nach Ursachen für Delays sucht sollte bei seinen Nodes anfangen. Alle Nodes werden Ihre DMX Daten zum gleichen Zeitpunkt erhalten haben. Zumindest wenn man im DMX Zeitraster denkt. Allerdings ist es möglich das die jeweiligen Nodes das DMX zu einem um einige Millisekunden unterschiedlichen Zeitpunkt ausspielen. Der Grund liegt unter anderem in dem internen Arbeitstakt der Nodes. Das merkt bei vielen Anwendungen kein Mensch. Bei einigen anderen aber schon. Mein lieber Kollege Rocketchris Glatthor hat mir kürzlich spannende Videos von einer Testreihe mit vielen Tausenden RGB Pixeln gezeigt. Es gab sichtbare Delays beim Ausspielen der DMX Daten. Art-Net bietet hier die Möglichkeit ein optionales Sync Paket zu schicken. Dabei werden erst alle DMX Daten an die Nodes gesendet und dort verarbeitet. Kurz nach den DMX Daten folgt ein sehr kleines Sync Paket das den Nodes befiehlt den DMX Frame jetzt auszuspielen. Etwa wie die Startpistole bei Bahnradrennen. Mit dem Sync Paket lässt sich das Delay von wenigen Millisekunden in den unsichtbaren Bereich um einige Hundert Mikrosekunden drücken.
Schlusswort
Einen wirklichen Krieg der Formate gibt es nicht.
Immerhin können nahezu alle Nodes und Pulte mit Art-Net und sACN umgehen.
Es ist unsere Aufgabe die jeweiligen Stärken und Schwächen zu kennen und zu nutzen.
Ich denke wir sind bei DMX over Ethernet noch weit von der einen Patentlösung für alle Anwendungen entfernt. Doch selbst die einfachsten Protokolle sind einem einfachen DMX Kabel überlegen. Viele heutige Anwendungen wären ohne die Pionierarbeit von Wayne Howell und seinen Mitstreitern kaum denkbar.